Puls Maschine Labor Empfindlichkeit

Anja Breljak

Was, wenn das Objekt, das digitalisiert wird, nicht ein Objekt ist im Sinne von Gegenstand, statisch, unbelebt, vermeintlich fix in Raum und Zeit, ein Ding, sondern ein atmender, pulsierender Körper? Etwas, das lebt, das flüchtig ist, sich jeden Moment verändert? Wie modifziert die maschinische Erfassung das, was als Körper wahrgenommen wird? Und was braucht es, um den Körper und seine Regungen überhaupt in die Maschine zu bekommen? Eine Spurensuche.

1.
Als Galileo Galilei, der um 1580 ein Medizinstudium in Pisa aufgenommen hatte, die schwingenden Kronleuchter im örtlichen Dom beobachtete, entdeckte er dabei der Legende nach das Pendelgesetz. Diese Entdeckung ist auch deshalb so legendär, weil sie die Voraussetzung für die erste ganggenaue Pendeluhr, also die erste präzise Uhr überhaupt, lieferte und vielleicht auch so etwas wie die Vorstellung einer objektiven Zeit im Denken der europäischen Moderne verankerte. Um die Dauer der Pendelbewegung zu bestimmen, nutzte Galileo, in Ermangelung eines Zeitmessers und wie schon lange üblich unter Naturforschenden, seinen eigenen Puls. Die erstaunliche Gleichmäßigkeit der Pendelbewegung, die er gerade noch durch die Regelmäßigkeit seines pulsierenden Körpers festgestellt hatte, brachte jedoch dieses herkömmliche Mittel der Zeitmessung ordentlich in Diskredit: Denn nun, plötzlich, mit Blick auf die erstaunliche Regelmäßigkeit des Pendels, war die Unregelmäßigkeit des Pulses evident geworden, was Galileo dazu veranlasst haben soll, den Gedanken der Zeitmessung umzudrehen und stattdessen den Puls mittels der gleichmäßigen Bewegung des Pendels, zum Nutzen der Medizin, zu bestimmen. Diese Umkehrung der Betrachtungsweise setzte also zugleich eine Rejustierung der Wahrnehmung in Gang: Die Bewegung des Pendels, die sich in ein physikalisches Gesetz übersetzen ließ, weil sie regelmäßig, determiniert und also berechenbar war, erlaubte es nun, die bis dahin verschmerzbar gewesene Kontingenz des Pulses, seine situative Responsivität auf Umgebung oder Zustand des lebendigen Körpers zu er-messen. Der Puls war plötzlich zu ungenau, abhängig, Ausdruck all der unberechenbaren Wirkungen auf den Körper. Das Pendel ebnete also auch den Weg dafür, den Gründen für die Kontingenz des Pulses mittels exakter Maschinen auf die Spur zu kommen.
Es war der Tüftler und Arzt Santorio Santorio, der diesen Gedanken Galileos in die Tat umsetzte, als er spätestens 1625 das Pulsilogium erfand. Dabei handelt es sich um ein auf dem Pendel basierendes Instrument zur Messung sehr kleiner, den Sinnen der Mediziner*in entschlüpfender Veränderungen des Pulses. Santorio war es im Übrigen auch, der das Galileo-Thermometer derart modifizierte, dass es sich in den Mund nehmen ließ – nur eines unter vielen größeren und kleineren Geräten im langsam anwachsenden Maschinenpark evidenzbasierter Medizin.
Allerdings gilt es zu bemerken, dass selbst noch die Präzision der Pulsmessung mit der von John Floyer rund um 1707 in Auftrag gegebenen Taschenuhr, die er spezifisch für die Messung des Pulses anfertigen ließ, nach wie vor darauf beruhte, dass die Mediziner*in den Tastsinn zur Hilfe nahm, um den Puls zu fühlen und fühlend zu zählen oder zu notieren. Die tastende (Selbst-)Berührung durch einen Menschen blieb die Grundlage, um aus dem Puls schlau zu werden; die Maschine war nur Beiwerk.

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2.
Umfassende Konkurrenz durch Maschinen bekam die menschliche Berührung, wie sie in der Kunst des Pulsfühlens lange tradiert und unerlässlich war, mit dem Entstehen der Physiologie als exakter Naturwissenschaft am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Physiologie setzte auf die experimentelle Untersuchungen der Tier- wie auch der Menschenkörper und ihrer Nervenbahnen, ihrer Reaktionsweisen, auf allerlei Substanzen, Intrusionen und Reizungen, um derart etwas über ihre Gemeinsamkeiten und Spezifika herauszufinden, um das Lebendige mathematisch-physikalisch zu vermessen. Dafür brauchte es die »Aufsuchung verlässlicher objectiver Merkmale, durch Anwendung chemischer, physikalischer und physiologischer Technicismen«, wie es Karl von Vierordt, Mediziner und Professor am ersten eigenständigen Lehrstuhl für Physiologie im deutschsprachigen Raum, in seiner Lehre vom Arterienpuls 1855 ausdrückte. Aus der uralten Kunst des Pulsfühlens, deren Geschichte sich mindestens in das China des 7. Jahrhunderts v. Chr. zurückverfolgen lässt, galt es eine moderne Wissenschaft des Pulszählens und -erfassens zu machen. Und zu diesem Zwecke bedurfte es Vierordt zufolge einer verlässlichen Objektivität, und das bedeutete: einer technischen Externalisierung, nicht nur der Zeit, sondern des Fühlens selbst. Diese Externalisierung des Fühlens musste für den Prozess des Pulsierens allerdings genauso empfindlich sein, wie sie für andere Prozesse – etwa das Atmen, Vibrationen, Störgeräusche, Unkonzentriertheit, Ablenkung etc. – unempfindlich sein musste. Zu diesem Zwecke entwarf Vierordt ein technisches Gerät, eine Maschine zur präzisen Messung und direkten Aufzeichnung des Pulses, die er »Sphygmograph« nannte und wie folgt beschrieb:

Wird das Plättchen p des Sphygmographen auf eine oberflächliche, nicht zu kleine Arterie gelegt, so hebt jede der Herzsystole entsprechende Expansion der Ader den Hebelarm I in die Höhe, während derselbe bei der Contraction der Arterie niedersinkt. Das Ende von I beschreibt somit eine kreisförmige Bewegung, die bei derselben Pulsgrösse um so mehr zunimmt, je näher der Applicationspunkt des Pulses dem Drehpunkt h des Hebels liegt. Würde nun das Haar einfach an dem anderen Ende des Hebelarmes I befestigt, so müsste die Haarspitze, wenn sie bei horizontaler Lage des Hebelarmes eben noch an die senkrecht gestellte, mit Papier überzogene Kymographiontrommel tangiert, selbst bei nur unbedeutenden Ausschlägen des Hebelarmes sich vom Papier entfernen, so dass die Pulsbewegungen nicht gehörig auf das Papier aufgeschrieben werden könnten […].
Der Untersuchende, welcher stehen, sitzen oder liegen kann, legt den Arm horizontal so unter das Plättchen p, dass die Längsaxe des Armes senkrecht steht zur Stange A. Da der Puls nothwendig vielfach vergrössert aufgezeichnet werden muss, so ist das ruhige Verharren des Armes während des Versuches unerlässlich […].


Vierordts Ausführungen verdeutlichen, dass sich unter der mehr als komplizierten, viele Feinheiten und Störfaktoren zu beachtenden Anwendung des Messgeräts, die nun ungefähr gewordene Kunst des Pulsfühlens in eine exakte »Technik der Pulsuntersuchung« transformierte. Dieser lag der schlichte Umstand zugrunde, dass sich auch der lebendige Körper in seiner eigentlichen »Pulsmechanik« begreifen lässt, also ein physikalisches Geschehen darstellt, das er-experimentiert und quantitativ er-messen werden kann. Der Puls war damit aufzeichenbar und berechenbar gewordenen, Normalität und Regelmäßigkeit von Abweichung und Veränderung exakt unterscheidbar. Was bis dahin und seit Jahrhunderten über Bilder, Metaphern und Beschreibungen, in Taxonomien und Erzählungen eingebunden, semiotisch auf den Begriff gebracht werden musste, ließ sich nun in Zahlenreihen, Diagrammen und Kurven darstellen.

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3.
Grundlage für die diagrammatische Überführung, bei der der Pulsschlag zu einer Kurve wurde und davon ausgehend auswertbare Zahlenreihen produzierte, ist ein Übersetzungsvorgang, bei dem es sich kurz zu verweilen lohnt: Das Plättchen p, von dem Vierordt schreibt, gibt die sehr feine Bewegung des Pulses über einen »Fühlhebel«, und also sensomechanisch, an einen Kymographen weiter, ein Gerät, welches die Bewegung des Fühlhebels auf berußtes Papier als Spur einschreibt. Das Papier im Kymographen wiederum ist auf einer sich drehenden Trommel angebracht, die so gleichmäßig wie eine Uhr, etwa mittels Federmotor, angetrieben werden muss. In diesem apparatischen Gefüge kommen nun also drei Übersetzungsvorgänge zustande: ein sensomechanischer vom Pulsschlag zum Plättchen, ein mechanischer vom Plättchen zum Fühlhebel, und ein graphischer vom Fühlhebel zum sich drehenden Papier. Das Resultat ist eine paradoxe Unmittelbarkeit: Weil ›nur‹ Technologie dazwischengeschaltet ist, und eben nicht der nunmehr als unzuverlässig diskreditierte menschliche Tastsinn, weil sich eine standardisierte, weitestgehend dem Zufall oder dem Subjektiven entziehende Repräsentation, die visuell erfahrbar und präzise berechenbar wird, ergibt, kommt der Sphygmograph der Natur noch ein Stückchen näher. In das Face-to-Face der Mediziner*in mit der Patient*in, das über ein Finger-to-Hand funktionierte, schleust sich damit eine sensomechanisch-graphische Maschine ein, die zum Ankerpunkt einer anderen Art der Unterhaltung wird: Ein selten bewusster, ›nur‹ fühlbarer, sehr flüchtiger Körpervorgang wird plötzlich für alle Anwesenden (und sogar für die Zukunft) offenbar, zum Referenzpunkt, öffnet sich gar dem (Selbst-)Vergleich. Mag noch die Auswertung und Besprechung der Implikationen der Kurven nötig sein, die Auto­rität des Wortes hängt nun an der Ägide der Kurve und damit der Zahl. Und Vierordt betont: Keineswegs sei der Sphygmograph nur für die Pulsuntersuchung gut, auch Atembewegungen, Herzbewegungen oder gar »die Bewegungen der Gehirnhäute u. s. w. müssen sich mittelst des Sphygmographen graphisch leicht verzeichnen lassen«, ein Trend, der mit der modernen Physiologie schon längst eingesetzt und hiermit sein mediales Prinzip gefunden hatte, auf dem dann unter anderen Étienne-Jules Marey aufbauen und kleiner, handlicher, verfeinerter weiterentwickeln konnte. Vierordt ist auch keineswegs der erste, der sich an die Erfindung eines technischen Apparates zur Erfassung des Pulses gewagt hat. Ihm vorausgegangen waren eine Reihe von Versuchen, die sich bis ins antike Griechenland zurückverfolgen lassen und eine gewaltvolle Tradition haarsträubender Experimente, Vivisektionen und quälender Tierversuche andeuten.

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4.
Am Sphygmographen als beispielhafter Innovation zum systematischen Näherrücken an physiologisches Geschehen lässt sich das Sensibel-Werden von Medientechnologien studieren. Erst in der Kombination aus Aufzeichnungsgerät – dem Kymographen, wie ihn Carl Ludwig ab 1846 schon für erste physiologische Experimente genutzt hatte – und der Idee, ein kleines Messingplättchen direkt auf die Arterie zu drücken (und nicht etwa eine Glasröhre in sie einzuführen, wie Ludwig es offenbar noch tat), kommt ein verlässliches Gerät zustande. Dessen Clou besteht im Einsatz eines Sensors, nämlich jenes simplen Plättchens p aus Messing, das durch die Art seiner Einbindung im Apparat eine spezifische Sensitivität für feine mechanische Bewegungen erhält und so zur entscheidenden Schnittstelle zwischen flüchtigen Körperprozess und seiner Erfassung wird. Erst durch das geeignete sensorische Element nämlich ergibt sich die Möglichkeit, den sonst flüchtigen, nicht-bewussten und vor allem situativen Prozess des Pulsschlags direkt im Moment des Geschehens in eine Kurve zu übersetzen, und zwar in Echtzeit, ohne dabei den Körper schädigen oder den Prozess behindern zu müssen.
Drei wichtige Verschiebungen ergeben sich aus diesem maschinischen Arrangement von Körperprozess, Sensor und Aufzeichnungsapparat: Erstens erlaubt der Sensor eine subjektlose, als neutral erscheinende Verknüpfung zwischen Körperprozess und Medientechnologie sicherzustellen, die zu einer Verselbständigung des Messinstruments führt. War die Kunst des Pulsfühlens auch von zahlreichen Hilfsmitteln geprägt – seien es Atemtechniken, Zählhilfen, Wassermengen oder mechanische Uhren gewesen –, können nun die Prozesse des Ertastens, Erfühlens und Erfassens von einem Gerät übernommen werden, das nur noch richtig eingesetzt und dessen Aufzeichnung gedeutet werden muss. Von nun an und mit all den weiteren Erfindungen, die die kymographische Aufzeichnung mit anderen sensorischen Komponenten versehen, bedarf es der Schulung am Gerät. Die menschliche Komponente rahmt den Prozess der Messung nur noch, sie stellt die Applikation des Instruments und die Auswertung der Ergebnisse sicher. Allerdings braucht auch die menschenlose Erfassung durch die Maschine noch die Menschen, als Vermittler, zur Operationalisierung der Maschine. Aber sie entbindet sie nun von ihrer subjektiven Angewiesenheit auf ihre sinnliche Empfindlichkeit, weil die Maschine zum Garanten der Objektivität wird.
Zweitens findet hier etwas statt, was sich im Anschluss an Joseph Vogl als eine »Denaturierung der Sinne« bezeichnen ließe.
Damit ist nicht unbedingt die Ersetzung etwa der menschlichen Fähigkeit des fühlenden Berührens durch einen Apparat mit einem Fühlsensor gemeint, sondern vor allem die Informatisierung des erfassten Prozesses. Die sensorische Übersetzung nämlich leistet eine Übertragung; hier wird ein Geschehen zum Signal und also als mathematische Funktion abbildbar, die sich nach Gusto als Zahlenreihe, Kurve oder Diagramm darstellen lässt. In Vierordts Überlegungen zu seinen Ergebnissen wird allerdings deutlich, dass es der Gesichtssinn ist, der die Hohheit über das medizinische Faktum behält, einfach, weil er mit einem Blick alles erfassen kann, was in den Zahlenreihen oder in den Kurven abweicht.
Das arbeitet drittens auch einem Wandel in der Kultur der Sensibilität entgegen: War vormals eine Einführung in die Kunst des Pulsfühlens vonnöten, musste das eigene Tastgefühl verfeinert, der rechte Zeitpunkt gefunden, das Deuten erlernt werden, geht es nun darum, die Applikation, die richtige Handhabung des Apparats und Erkennung von Abweichungen aus den Normkurven und Zahlen herauszulesen. Nicht mehr der Körper steht im Fokus, und sei es in Form des eigenen Körpers als Medium, sondern der Apparat und sein Ergebnis. Vom Tasten geht es nun zum Applizieren, vom tradiertem Wissen zum dezidierten Know How, das immer kleinere, feinere Unterschiede kennen kann, ohne auf das Tastgefühl der Mediziner*in Rücksicht nehmen zu müssen, während es die vorsichtige Handhabung des empfindlichen Apparats voraussetzt.

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5.
Vierordts Erforschung der Körperprozesse und seine Erfindungen zur Messung dieser waren zwar wichtig für die Entstehung der Physiologie als Wissenschaft, sie standen allerdings im Kontext eines umfassenden Florierens experimenteller Körperforschung, vor allem im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts. Maschinen und Instrumente aller Art entstanden, um Bewegung, Kraft, Nervenreizungen zu messen, um das Sehen, Tasten, Riechen, Hören und Fühlen zu erfassen und wissenschaftlich zu bestimmen. Nicht zufällig fiel diese Entwicklung mit dem Beginn des Zeitalters des Labors zusammen. Im laboratorischen Setting naturwissenschaftlicher Forschung konnte sich den physikalischen, chemischen und biologischen Gesetzmäßigkeiten empirisch gewidmet werden, waren die Messinstrumente, Werkzeuge und Maschinen nicht mehr nur aufbewahrt und gesammelt, um für Demonstrationszwecke hervorgeholt zu werden. Das Labor schaffte einen instituierten Raum der Aktualisierung eines der Natur abgerungenen, mit dem Experiment hervorgekitzelten Wissens. Hier konnten Substanzen, Gerätschaften und Maschinen, Organismen und Organe, prozedurales Wissen und die handwerkliche Kunstfertigkeit vieler Hände zusammenkommen, um in situ Tatsachen zu schaffen. Das Labor war also auch der Ort, an dem Erkenntnis durch die geschickte Anordnung subjektiver Erfahrung mit jenen objektiven Technizismen, von denen Vierordt so überzeugt war, erzielt wurde. Selbstverständlich brauchte es dafür eine Anordnung im wörtlichen Sinne, die die Körper im Raum mit den Gerätschaften und Versuchsobjekten in einen geeigneten Rhythmus bringen konnte. Das chemische Labor von Justus Liebig in Gießen zum Beispiel, welches 1839 eingerichtet wurde, deutet an, wie zentral das Verteilen der Experimente auf verschiedene Tische und das Verteilen der Tische im Raum war, um zugleich Arbeitsteilung und Zugänglichkeit zu ermöglichen. In Carl Ludwigs Leipziger Laborkomplex, welcher 1869 als Physiologische Anstalt eröffnet und von dem gar Grundrisse angefertigt wurden, wird die getrennt-verkoppelte Komplexität der Raumstruktur noch kenntlicher: Mikroskopie, Arbeiten mit Quecksilber, Vivisektionen haben nun eigene Räume bekommen, die Aufbewahrung von Vögeln, Fischen, Kaninchen, Hunden und Pferden findet im Annexbau und im Keller statt. Alles bekommt seinen designierten, abgegrenzten Ort in nachbarschaftlicher Nähe, während die Menschen sich von Tisch zu Tisch, von Raum zu Raum bewegen, Gerätschaften in Betrieb setzen, Aufzeichnungen vornehmen, Versuchsobjekte, Substanzen oder Material an Ort und Stelle bringen. Das Labor beginnt damit, in seinem eigenen Rhythmus zu pulsieren.

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6.
Das Labor zielte darauf ab, Kontrollierbarkeit zu schaffen, Störungen auszuschließen, das Rauschen des Alltags für die forschende bürgerliche Elite zu minimieren.
Tiere bekamen ihren Platz fernab des konzentrierten Forschens, damit ihre Rufe und Bewegungen nicht ablenkten. Gehilfen hatten sich unbemerkt von Raum zu Raum zu bewegen, um etwa das Feuer zu schüren, Material zu beschaffen oder aufzuräumen. Kinder hatten keinen Zutritt, Frauen lange Zeit nur als Demonstrations- oder Versuchsobjekte. Dasselbe galt für Menschen mit Behinderung, aus ärmeren Schichten, aus Gebär- oder Waisenhäusern, Strafgefangene oder Insassen von geschlossenen Anstalten, und Peo­ple of Co­lor, insbesondere in den sogenannten Kolonialgebieten – die Laborrevolution des 19. Jahrhunderts brachte einen Schub an Tier- und Menschenversuchen mit sich, bei der die Entrechtung von Lebewesen zunehmend durch den sogenannten wissenschaftlichen Fortschritt ausgenutzt und gerechtfertigt wurde. Das Labor war also nicht nur ein Ort des Ausschlusses, das Labor war auch jene Institution, die eine Logik der Forschung über das Wohl lebendiger Körper stellte und sie mit ihren Substanzen, Geräten, Prozeduren und Maschinen zu traitieren begann. Erst hier konnte eine weitestgehend kontrollierte Umgebung geschaffen werden, um die vermeintlich körpereigenen Differenzen von sensorischen, neurologischen, motorischen oder immunologischen Kapazitäten verschiedener Gruppen von Lebewesen zu untersuchen oder ihre Gemeinsamkeiten zu finden. Und dafür bedurfte es entsprechend empfindlicher Instrumente, die die Messungen objektivierten und rechtfertigten, die die Beobachtung potenzierten, wobei der Umgang mit den Instrumenten sorgfältigst geschult sein musste, um sie auf die Körper anzuwenden. Das Labor war der Raum, wo eine Schulung und Potenzierung der Empfindlichkeiten von Instrument und Forscher*in stattfinden konnten, bei gleichzeitiger Ausnutzung der Empfindlichkeiten der beforschten Tier- und Menschenkörper. Hier, an diesem paradigmatischen Ort westlicher Moderne, fand eine ebenso paradigmatische Unterwerfung der Empfindlichkeit der Körper unter eine neue, maschinengetragene Kultur der Sensibilität statt.

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